Montag, 7. April 2014
Romananfänge - Von Beschreibungen und Überraschungen
Anstatt negative Reviews zu Büchern zu schreiben, die mir nicht gefallen, schreibe ich lieber über die Gründe dafür, ohne das Buch beim Namen zu nennen.
Heute möchte ich über Romananfänge schreiben und wie man es nicht machen sollte.
Wenn man den Roman vor der Geschichte beginnt
Kürzlich bekam ich ein E-Book in die Finger, mit gutem Titel und interessanter Beschreibung. Hoffnungsvoll fing ich an zu lesen.
Im ersten Kapitel erlebte ich den weiblichen Protagonisten mit ihrem Liebsten im Urlaub. Trotz Dialog und aktiver Handlung kam keinerlei Interesse bei mir auf. Das recht öde Urlaubsleben brachte mir als Leser keine Hinweise, ganz besonders keine Spannung und keinen Antrieb weiterzulesen.
Ich fragte mich permanent, was dieser Teil mir bringen soll - was diese Szenen sollen, was sie für Sinn haben. Am Ende des Urlaubs war klar, dass dieser Abschnitt nichts mit dem Abenteuer des Buches zu tun hatte. Es hatte keinen Bezug zur eigentlichen Handlung, um die es später gehen sollte.
Nicht nur, dass die Urlaubsszenen keinen "Hook" hatten, der mich mit Interesse in die Szenen zog und mich zum Weiterlesen animierte, sie waren noch nicht einmal nötig für die Geschichte an sich.
Was soll ich sagen? Ich, als Leser, fühlte mich betrogen. Ich habe Zeit und Aufmerksamkeit investiert, in der Hoffnung auf einen Sinn des Gelesenen, weil mir ein Abenteuer versprochen wurde. Doch was ich las, war nicht von Wichtigkeit.
Beim erneuten Überfliegen des Kapitels wurde klar, dass der Autor hier vergeblich versucht hatte, dem Leser die Hauptfigur zu beschreiben und die Gedanken zur unzufriedenstellenden Liebesbeziehung. Das alles leider in einer Szene ohne Bezug zum Abenteuer. Eine austauschbare Szene! Sowas darf nicht sein.
Der Versuch, mir die Figur näher zu bringen schlug genau deshalb fehl. Ich habe mich nicht für sie interessiert, weil ich mich dauernd fragte, was der Blödsinn soll.
Ich wusste, dass die Hauptfigur später zu einem besonderen Ort fährt und dort ein spannendes Abenteuer erlebt. Der Urlaub davor stellt somit eine Vorgeschichte dar, die nichts im Buch zu suchen hat.
Einen Bezug zur Figur bekommt der Leser eher, wenn das Abenteuer läuft, wenn etwas besonderes mit der Figur passiert, dessen Ausgang den Leser interessiert.
Dies ist ein Fehler, den viele Autoren begehen. Sie glauben, dass sie dem Leser die Hauptfigur vor dem Abenteuer erst vorstellen müssen. Etwas, das fast immer schiefgeht.
Auf den Urlaub und das vorhersehbare Ende der Liebesbeziehung folgt eine lange Passage der Hauptfigur im Job. Genau wie zuvor schon mit dem Partner, wird hier im gleichen Schema der Job entsorgt. Zuerst erfährt man die negativen Gedanken der Figur bezüglich ihrer Arbeit, dann folgt eine eher nervige Handlung, um am Ende den absehbaren Jobverlust zu beschreiben.
Auch dieser Teil hatte nichts mit dem Abenteuer der eigentlichen Geschichte zu tun. Es ist eine Vorgeschichte, die ohne Spannung etwas über die Figur sagen soll. Was das ist, ist mir etwas unklar. Dass sie ihren Job nicht mag? Wenig interessant. Identifikation? Kommt auch nicht auf, denn die Gedanken der Figur nach dem Schema "Eigentlich sollte ich glücklich sein, aber irgendwie bin ich es nicht, ich sollte Partner/Job vielleicht loswerden" gingen mir sehr schnell auf die Nerven. Soll es mir verdeutlichen, dass sie nun weder Job noch Partner halten, so dass das Wegfahren zum Abenteuer "realistischer" ist? Das war mir doch vollkommen egal. Ich wollte ein Abenteuer, ich wollte Spannung.
Diese Dinge hätte man später im Abenteuer leicht, in wenigen Sätzen, einbauen können. Sture, lineare Erzählweise ist oft nicht der heilige Gral, wenn es darum geht, eine spannende Geschichte zu erzählen.
Nach dem Jobverlust geht das eigentliche Abenteuer los und die Figur macht sich auf den Weg. Hier hätte der Autor in die Geschichte einsteigen sollen. Auf der Fahrt wäre ein guter Moment gewesen, den Verlust von Job und Partner zu erwähnen, um die Fahrt noch interessanter zu gestalten, um das Tempo zu regulieren und der Fahrt eine angemessene "Länge" zu geben, ohne jeden langweiligen Streckenabschnitt beschreiben zu müssen.
Die Geschichte zieht nun das Tempo an und es passieren wirklich interessante Dinge, die das Abenteuer vorantreiben, doch ich vermute, dass es wenige Leser bis hierhin schaffen. Die meisten werden nicht durchhalten und vorher aufgeben. Weil das Buch vor der eigentlichen Geschichte beginnt.
Aller Anfang ist schwer
Es ist nicht immer leicht, den richtigen Punkt für den Einstieg ins Abenteuer zu finden.
Ein guter Anhaltspunkt ist der Ratschlag, dort zu beginnen, wo zum ersten Mal die Action losgeht, wo es zum ersten Mal spannend wird. Dann entgeht man der Gefahr, zu viel "Vorgeschichte" zu erzählen.
Die Plotter und Planer können diesen Punkt nach dem Plotten heraussuchen und dort mit dem Schreiben beginnen. Die Drauflosschreiber suchen ihn nach dem Schreiben im Rohtext. Doch so oder so, müssen beide Gruppen den schweren Schritt tun und alles, was vorher passiert, erbarmungslos streichen.
Wichtige Informationen müssen dann an einem anderen Ort in die Geschichte eingeflochten werden. So schwer dieser Schritt auch ist, er lohnt sich!
Ich will damit nicht sagen, dass Romananfänge mit Beschreibungen und bloßen Charaktereinführungen nicht auch gelingen können und zum Weiterlesen einladen. Es ist allerdings weitaus schwieriger und erfordert mehr Können.
Auch eine Beschreibung oder Charakterdarstellung braucht einen "Hook", der den Leser ködert. Etwas wirklich interessantes, das neugierig darauf macht, wie es weitergeht.
Eine richtige Actionszene bringt dies meist schon von selbst mit sich und ist deshalb ein sich anbietendes Mittel für einen "Hook" zu Beginn des Buches.
Wer mit Action beginnt, kann eine actionreiche Handlung wählen oder einen spannenden Dialog. Am besten natürlich gleich beides.
Wer mit Beschreibungen anfängt, sollte sich sowohl an "show, don't tell" halten, als auch Vertrauen in seine Leser haben. Nicht alles muss ihnen vorgekaut werden. Um eine Beschreibung allerdings interessant zu machen und nicht den nächsten austauschbaren "Wie das Wetter war, als der Prota aufwachte"-Start hinzulegen sollte es in der Beschreibung einen einzigartigen Schauplatz geben, wirklich unerwartete Details oder auch emotional ansprechende Passagen, ob sinnlich oder aufwühlend.
Zum Ende ein paar interessante Anfänge
Bisher passierte folgendes: Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung angesehen.
Douglas Adams, “Das Restaurant am Ende der Welt”
Carl trat einen Schritt näher an den Spiegel heran. Mit dem Zeigefinger fuhr er sich über die Stelle an der Schläfe, wo ihn die Kugel gestreift hatte.
Jussi Adler-Olsen, “Erbarmen”
Zwei Männer hievten einen Ziegenbock mit zusammengebundenen Hufen aus dem Kofferraum einer blauen Limousine. Als sie ihn unten über den gefliesten Hof schleppten, klappte sein bärtiges Maul auf, und er begann zu hecheln und panisch mit den Augen zu rollen.
Lisa Alther, ”Fünf Minuten im Himmel”
Auf dem feuchten Grunde des Schachtes wimmelte es von spielenden Kindern.
Martin Andersen Nexö, “Pelle der Eroberer”
Sie brachten Finsternis und Furcht in ihr Haus, sie brachten den Geruch von Aftershave, Shampoo und Bier. Sie brachten ein Springmesser mit, eine Gartenschere und eine grüne Handsäge.
Friedrich Ani, “German Angst”
Ich suchte nach einem ruhigen Ort zum Sterben. Jemand empfahl mir Brooklyn, und so brach ich am nächsten Morgen von Westchester aus auf, um das Terrain zu sondieren.
Paul Auster, “Die Brooklyn Revue”
Als Tash French frühmorgens die Toilettenspülung zog, fiel ihr ein großer Eiszapfen direkt auf den Kopf.
Fiona Walker, “Heiraten macht mich nervös”
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Ein wirklich sehr gut durchdachter Blogpost!
AntwortenLöschenDer Anfang von Jussi Adler-Olsen, “Erbarmen”, Paul Auster, “Die Brooklyn Revue” & Fiona Walker, “Heiraten macht mich nervös” haben mir am Besten gefallen! :)
Liebe Grüße, Cassandra
Vielen Dank :)
LöschenIch habe mich bemüht, besonders interessante und ungewöhnliche erste Sätze zu wählen bei den Beispielen.